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Ohne Ballaststoffe: Bakterien greifen Darmbarriere an

Ballaststoffe sind der Schlüssel zu einem vielfältigen Darm-Mikrobiom. Eine hohe Artenvielfalt im Darm kann unsere Gesundheit optimal fördern: Es hilft uns zum Beispiel, chronischen Erkrankungen wie Fettleibigkeit, Diabetes und entzündlichen Darmerkrankungen vorzubeugen. [1] Auch Infektionen treten seltener auf.

Trotzdem nehmen die meisten von uns zu wenig Ballaststoffe zu sich. Dabei kommen sie in vielen pflanzlichen Lebensmitteln vor, zum Beispiel in:

  • Getreide,

  • Hülsenfrüchten,

  • Nüssen,

  • Knollen,

  • Gemüse und

  • Obst.

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Ballaststoffabbauende Bakterien hungern


Ballaststoffe enthalten lange Kohlenhydratketten, die wir selbst nicht abbauen können. Sie erreichen deshalb unverdaut die unteren Darmabschnitte. Dort stürzen sich die Ballaststoff-Spezialisten des Mikrobioms auf die für sie reichhaltigen Nährstoffe und bilden daraus Stoffwechselprodukte, die für unsere Gesundheit wichtig sind.

Nehmen wir kaum Ballaststoffe zu uns, bedeutet das für die ballaststoffabbauenden Bakterien in unserem Darm: Hunger. Ernähren wir uns nur einen Tag lang ballaststoffarm und gleichzeitig fett- und proteinreich, nimmt die Vielfalt des Darmmikrobioms bereits ab. [2] Für viele Menschen ist das jedoch die normale Nährstoffzusammensetzung, die sie täglich zu sich nehmen.



Wenn Ballaststoffe nicht mehr wirken


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Ernähren wir uns langfristig ballaststoffarm, können wir die Auswirkungen auf das Darm-Mikrobiom nicht mehr so einfach rückgängig machen. Das hat eine Studie mit gesunden Erwachsenen gezeigt: Die Probandinnen und Probanden nahmen über zehn Wochen reichlich Ballaststoffe zu sich, um ihre Darmbakterien optimal zu fördern. [3] Doch an der Vielfalt ihrer Darmbakterien änderte sich nichts. Die vorhandenen ballaststoffabbauenden Bakterien produzierten lediglich mehr Enzyme, die die langen Kohlenhydratketten verarbeiten.



Bakterienverlust verschärft sich mit jeder Generation


Eine Studie an Mäusen lieferte weitere Erkenntnisse. Die Mäuse waren unter keimfreien Bedingungen geboren und anschließend mit einem menschlichen Darmmikrobiom besiedelt worden. Im ersten Schritt der Studie ernährten die Forschenden die Mäuse ballaststoffarm, woraufhin sich die mikrobielle Vielfalt im Darm der Mäuse stark verringerte. [4] Anschließend stellten die Forschenden dieselben Mäuse auf ballaststoffreiches Futter um und die mikrobielle Vielfalt nahm wieder zu.

Verabreichten die Forschenden aber nicht nur innerhalb einer Mäusegeneration ballaststoffarmes Futter, sondern auch den nachkommenden Generationen, änderten sich die Bedingungen: In den späteren Mäuse-Generationen konnte eine ballaststoffreiche Ernährung die Diversität nicht mehr erhöhen; viele ballaststoffabbauende Bakterienarten waren offenbar dauerhaft ausgestorbenen.


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Möglicherweise verschärft sich auch beim Menschen der Verlust der Bakterienarten mit jeder Generation. Kinder kommen während einer natürlichen Geburt mit dem Mikrobiom der Mutter in Kontakt und erhalten so eine mikrobielle Erstausstattung. Ist die Bakterienvielfalt aber bereits bei der Mutter eingeschränkt, starten die Kinder mit einer verringerten Bakterienvielfalt ins Leben. Meist setzen Antibiotika-Therapien, eine keimarme Lebensumgebung und eine ballaststoffarme Ernährung dem Mikrobiom anschließend weiter zu. Viele ballaststoffabbauende Bakterien können sich deshalb nie im kindlichen Darm ansiedeln oder dauerhaft halten.



Bakterien bauen vermehrt Darm-Schleim ab


Gehen die ballaststoffabbauenden Bakterienarten im Darm zurück, fehlen uns ihre gesundheitsfördernden Stoffwechselprodukte. Aber nicht nur das: Gleichzeitig vermehren sich Bakterienarten, die von den Schleimstoffen in unserem Darm leben. [5] Beispiele solcher Bakterienarten sind Akkermansia muciniphila und Bacteroides caccae.


Der Schleim in unserem Darm verbessert die Gleitfähigkeit des Darminhalts am Gewebe und bildet gleichzeitig eine Barriere gegen schädigende Einflüsse. Genau wie die Ballaststoffe enthält auch der schützende Schleim lange Kohlenhydratketten. Fördern wir mit einer ballaststoffarmen Ernährung die schleimabbauenden Bakterien in unserem Darm, dünnt die Darm-Barriere aus und das Mikrobiom rückt näher an die Schleimhaut heran. Schleimhaut und Immunsystem reagieren darauf mit erhöhter Alarmbereitschaft. Durch die ausgedünnte Schleimschicht können Krankheitserreger leichter an die Schleimhaut andocken und im Falle einer Infektion können sich größere Bereiche des Darmgewebes entzünden.



Fasern der Ballaststoffe unersetzlich

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Gereinigte Ballaststoffe in Pulverform erscheinen als verlockende Alternative, mit deren Hilfe sich gesundheitsschädigende Auswirkungen einer ballaststoffarmen Ernährung umgehen lassen sollen. Doch wie eine Studie zeigte, können ballaststoffhaltige Pulver zumindest den Abbau der Schleimschicht im Darm nicht verhindern. [5] Das unterstreicht, wie wichtig die natürlichen Fasern der Ballaststoffe für deren bakteriellen Abbau sind.


Denn ob eine Bakterienart einen Ballaststoff verdauen kann, hängt nicht nur von dessen chemischer Struktur ab. Auch die dreidimensionale Form spielt eine Rolle: Sie bestimmt, ob ein Bakterium den Ballaststoff mit seinen Bindeproteinen „greifen“ kann. Erst dann kann es den Ballaststoff abbauen – wenn es die richtigen Enzyme dafür besitzt.


Die Darmbakterien können feinste Variationen in Form und Struktur der Ballaststoffe unterscheiden und sind im Abbau extrem spezialisiert. Deshalb hängt es stark von der Art des Ballaststoffes und dem Grad seiner Verarbeitung ab, welche Bakterienarten er fördert. In Experimenten mit Mais- und Weizenkleie konnten Forschende zum Beispiel zeigen: Kleine Kleiepartikel fördern andere Bakterien, als mittlere und große Kleiepartikel.



Bambussprossen gegen Übergewicht


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Da es stark vom jeweiligen Ballaststoff abhängt, welche Bakterien er fördert, sollten wir auch auf die Art des Ballaststoffs achten, wenn wir unser Gewicht regulieren wollen. Eine Untersuchung an Mäusen zeigte das eindrücklich: Fütterten Forschende die Mäuse mit einer fettreichen Diät und einem nicht abbaubaren, synthetischen Ballaststoff, nahmen die Mäuse schnell an Gewicht zu. [6] Weizenkleie und Sojafasern hatten den gleichen Effekt wie der synthetische Ballaststoff.

Verwendeten die Forschenden stattdessen die gleiche Menge Bambussprossenfasern, unterdrückten sie die Gewichtszunahme bei fettreicher Ernährung fast vollständig. Überraschenderweise hatte die gleiche Menge Inulin kaum einen Einfluss auf das Gewicht.



Fazit


  • Wir müssen die ballaststoffabbauenden Bakterien in unserem Darm füttern, damit sie dort leben und unsere Gesundheit fördern können.

  • Ballaststoffabbauende Bakterien sind Spezialisten. Wir erreichen nur dann eine bakterielle Vielfalt im Darm, wenn wir ganz unterschiedliche Ballaststofftypen zu uns nehmen.

  • Gehen ballaststoffabbauende Bakterien verloren, vermehren sich stattdessen Bakterien, die den schützenden Schleim in unserem Darm zersetzen. Schleimhaut und Immunsystem gehen daraufhin in erhöhte Alarmbereitschaft.

  • Sind Bakterienarten dauerhaft ausgestorben, reicht eine ballaststoffreiche Ernährung alleine nicht mehr aus, um sie wieder anzusiedeln.



Literatur

  1. Zhang P., 2022: Influence of Foods and Nutrition on the Gut Microbiome and Implications for Intestinal Health. Int J Mol Sci. 23(17):9588. doi: 10.3390/ijms23179588.

  2. David L. A. et al., 2014: Diet rapidly and reproducibly alters the human gut microbiome. Nature 505(7484):559-563. doi: 10.1038/nature12820.

  3. Wastyk H.C. et al., 2021: Gut-microbiota-targeted diets modulate human immune status. Cell, 184(16):4137-4153.

  4. Sonnenburg E. D. et al., 2016: Diet-induced extinctions in the gut microbiota compound over generations. Nature 529(7585):212-5. doi: 10.1038/nature16504.

  5. Desal M.S. et al. 2016: A dietary fiber-deprived gut microbiota degrades the colonic mucus barrier and enhances pathogen susceptibility. Cell 167, 1339–1353.

  6. Li X. et al., 2016: Bamboo shoot fiber prevents obesity in mice by modulating the gut microbiota. Sci Rep. 6:32953. doi: 10.1038/srep32953.

 
 
 

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